Gasmangel gefährdet die Bildung – und ich bin wichtiger als Du!


Jetzt macht sich die FDP Sorge darum, dass Unterricht wegen Gasmangels ausfallen könnte. Klingt ja erstmal rührend, ist aber eher drollig naiv. Das Problem ist mit einer Priorität bei der Gasversorgung allein überhaupt nicht zu lösen.

Jetzt ist es im vollen Gange: Das Geschachere darum, wer Priorität hat. Wir sind es bereits gewohnt seit 2020. Der globale Fluss an Versorgungsgüter gerät ins Ruckeln und das Schlaraffenland aus Allzeitverfügbarem Konsum ist nicht aufrecht zu erhalten. Wenn nicht jederzeit genug von allem für alle da ist, soll man dann manche bevorzugen, um damit vielleicht allen am besten zu dienen.

Dieses „ich bin aber wichtiger als du“, hat so richtig Fahrt aufgenommen, als es darum ging alle Kontakte zu beschränken, weil wir in der Anfangsphase der Pandemie nichts anderes hatten, was wir dem Virus entgegen halten konnten. Da sollten dann die Kinder daheim bleiben, fern von Kita, Schule, Freunden und selbst Spielplätzen. Dafür konnten viele Eltern ihrem Beruf nicht mehr voll nachgehen. In der Konsequenz hatte dies letztlich zu den meisten Kontaktreduzierungen geführt, wurde aber nicht von allen gleichermaßen begrüßt. Pflegepersonal, das den Beruf nicht mehr ausüben konnte, weil kleine Kinder daheim nicht sich selbst überlassen werden dürfen? Nein, da muss man regulierend eingreifen. Kurz darauf schrieen aber fast alle, dass doch ausgerechnet ihr Beruf für unser Zusammenleben wichtig wäre.

Niemand will entbehrlich sein

Man stelle sich ja auch mal vor, dass durch eine Krise offensichtlich würde, dass es Berufe gibt, die man problemlos abschaffen könnte. In der Romanreihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ heilt sich eine Zivilisation selbst, indem sie den unnützesten Teil ihrer Gesellschaft in der „Arche B“, einem gigantischen Raumschiff auf eine Reise ins Nirgendwo schickt, mit der Illusion, dass sie die Wichtigsten wären und deshalb als erstes evakuiert werden müssten. Diesen Klassenkampf erleben wir nun erneut und vieles ist hier mehr Schein als Sein und er ist ideologisch durch unsere Wirtschaft getrieben. Denn wir haben gelernt, dass jeder selbst Schuld habe, wenn er nicht dringend gebraucht und gut bezahlt wird.

Der Begriff „kritische Infrastruktur“ wird da gerne geprägt und jeder will dazu gehören, denn „ohne mich geht’s doch wohl nicht, oder?“, ist das neue Selbstverständnis. Wer zur kritischen Infrastruktur gehört, darf seine Kinder in die Kita bringen, auch wenn die wegen einer Krise eigentlich geschlossen ist, damit er wie gewohnt zur Arbeit gehen kann und man dem Chef nicht erklären muss, dass die Betreuung der nächsten Generation keine Option, sondern alternativlos ist. Darin spiegelt sich auch das Missverhältnis von Kinderlosen und Eltern wider. Wer keinen Nachwuchs hat ist im Arbeitsleben eben funktionaler und krisenfester. Gleichwohl spekulieren alle darauf, dass da doch wohl eine nächste Generation mal ihre Altersversorgung, ihre Pflege und ihre ganzen Probleme übernehmen werde, bis hin zur Klimakrise und Atommüll.

Lieber Rendite zur Lebzeit als Fortschritt für die Enkel

Dass die Bildung der nächsten Generationen in unserer Gesellschaft die höchste Priorität haben sollte, ist rationell gesehen unabdingbar, wenn man am dauerhaften Fortbestand der Gesellschaft ein Interesse hat. Doch diese Ideologie scheint etwas verloren gegangen zu sein. Schufen die Menschen früher noch Dinge, von denen sie hofften, dass sie ihre Lebzeit bei weitem überdauern und in den kommenden Generationen fortbestehen und weiterwirken sollten, so fühlt sich vieles was Entscheider, Chefs und Regierungen tun heute eher so an, als würden sie ihre eigene Obsoleszenz planen. Maßnahmen müssen maximale Effizienz bis zu ihrem eigenen mutmaßlichen Lebensende entfalten. Die Priorität den Kindern, Enkeln und Urenkeln eine bessere Welt hinterlassen zu wollen, ist hingegen gewichen.

Ist die FDP nun auf einem guten Weg, wenn sie erkennt, dass der durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelösten Gasmangel auch die Kinder bedroht und man den Schulen Priorität einräumen sollte? Nun sollte man der FDP nicht unbedingt Dummheit oder bösen Willen unterstellen, muss sich aber doch stetig fragen, für welche Lobbyisten und welches Aktienportfolio sie gerade argumentieren, um hier kurzfristige Gewinne zu sichern. Beim Thema Schulen ist das vielleicht nicht direkt erkennbar, aber vermutlich ebenso der Fall, wenn man etwas tiefer blickt.

Das Hauptproblem aktuell ist, dass wir im Winter 2022/2023 aller Voraussicht nach nicht alle Verbraucher vollständig mit Gas versorgen werden können. Die Notfallpläne legen hier bereits, planerisch sehr gut, Prioritäten und Strategien fest. So soll ebend die „kritische Infrastruktur“ versorgt bleiben. Dazu gehören Krankenhäuser. Patienten die erfrieren, weil sie im Koma liegen und das Krankenhaus nicht geheizt werden kann, sind nicht akzeptabel. Soweit so klar. Ob nun auch die Industrie insgesamt zur kritischen Infrastruktur zählen muss, weil da ja irgendwie die Wirtschaft dran hängt und eben viele Arbeitsplätze gefärdet sein könnten, muss man aber sehr skeptisch sehen. Dennoch wurde auch das schon energisch ins Feld geführt.

Wirtschaft oder Leben

Aktuell haben Wohnhäuser eine höhere Priorität als Produktionsstätten und Betriebe. Mich hat das erstmal überrascht, weil man als Privatmensch selten in den Vordergrund gerückt wurde. Allerdings haben wir nun eben auch eine andere Regierung als in den letzten Jahrzehnten. Ganze Siedlungen die auskühlen, einfrieren und unbewohnbar werden, während nebendran die Fabrik munter produziert, wären in der Tat etwas das „sozialen Sprengstoff“ bietet und schlichtweg unpraktikabel ist, solange die Industrie nicht völlig ohne Menschen funktioniert. Die FDP hat hier aber ein Problem, denn für ihre Mitglieder, ihre Wähler und Anhänger, ist die Industrie im Zweifel wichtiger. Dass sie selbst dann im kalten Hocken sehen sie weniger, denn wer genug Geld hat kann sich fast immer irgendeine Alternative kaufen. „Und wenn das normale Volk kein Brot mehr hat, dann sollen sie eben Kuchen essen“, möchte man da in Gedanken hinzufügen. Vielleicht bieten manche Unternehmen dann den Mitarbeitern an gleich ganz im Büro zu bleiben, auf Feldbetten zu schlafen oder durchzuarbeiten, um nicht daheim im Kalten zu hocken. Mancher würde das lakonisch eine „Win-Win“-Situation nennen.

Was ist aber nun, wenn die Betriebe in denen man tätig ist, Freunde hat oder von denen man Aktien besitzt, alle auf die Liste der kritischen Infrastruktur gehievt wurden, das eigene Haus mit teuren Speziallösungen mollig warm bleibt, aber die Kinder dann nicht in die Schule können, weil die gerade einfriert? Nun, dann hat man eben doch wieder ein Problem. Das „aber ich bin doch wichtiger und muss mein Kind trotzdem schicken“, klappt nicht. Zum einen will man nicht, dass es dort dann bibbernd sitzen muss, zum anderen wird im Zweifel eben dennoch alles dicht gemacht und wieder kurzfristig HomeSchooling angeordnet. Und die Eltern, wie sollen die denn dann ungestört arbeiten? Ja, genau. Da kommt das Problem her und jetzt sind wir an dem entscheidenden Punkt für die Argumentation der FDP zum Thema Schulen und Gas.

Dabei rettet niemand die Schulen oder gar die Bildung mit Gas, aber der Betrieb der Schulen in diesem Winter ist tatsächlich hochgradig gefährdet. Und diese zwei Dinge lohnt es sich ebenso noch zu betrachten.

Unser Bildungssystem ist mit Gas allein nicht zu retten

Zum einen ist das unser Bildungssystem, das man eigentlich so garnicht nennen dürfte. Schulen bieten, ich wiederhole es gerne nochmal, keine Bildung, denn sie basieren auf Prüfen und Aussortieren. Das hat weder etwas mit Pädagogik, noch etwas mit bestmöglicher Bildung für die nächste Generation, der wir all unsere Probleme hinterlassen, zu tun. Schulen scheitern seit den 1970ern daran sich weiterzuentwickeln und hinken sowohl der Realität, wie der Digitalisierung, als auch der Pädagogik um viele Jahrzehnte hinterher. Das substanziell zu ändern wird Jahrzehnte benötigen, aber man müsste vor allem einmal ernsthaft damit beginnen.

Lächerlich ist in diesem Kontext nun, dass selbst in den größten Krisen die Kultusminister sich immer noch an der Präsenzpflicht festklammern, als sei sie das Entscheidende und Einzige was Bildung rettet. Tatsächlich tut sie das freilich sind, sondern rettet nur unser antiquiertes Schulkonzept noch durch ein weiteres Jahr. In der Konsequenz haben die Schulen sich aber immer noch der Digitalisierung und der flexibiliserung des Lehr- und Lernortes verweigert. Die kurzen Ausflüge in Fernunterricht, digitaler Kooperation und moderner Welt, wurden fast ausnahmslos wieder zurückgerollt und eilig eingestampft, sodass die Schulen auch für den nächsten Winter in keinster Weise für irgendetwas anderes vorbereitet sind als für den heißgeliebten Präsenzunterricht.

Und genau dieser Präsenzunterricht steht nun mehr als jemals zuvor auf der Kippe. In Frühjahr 2020 war noch die Idee möglichst wenige Kinder in die Schule zu lassen, um die Ansteckungsrate zu drücken. Die Kinder der „wichtigen“ Eltern konnte man dann natürlich dennoch beherbergen. Da die Schule sich aber nicht wirklich in die digitale Kooperation weiterentwickelte, war die nächste Option dann eben alle wieder verpflichtend einzubestellen, gleichsam einem Elon Musk der seine ganzen Mitarbeiter anblafft gefälligst wieder im Büro zu erscheinen und dann dort nicht in der Lage ist allen überhaupt einen Sitzplatz zu organisieren. Ende 2020 musste man dann doch wieder alle heimschicken und aus der Präsenzpflicht in der Schule wurde eilig eine Pflicht der Eltern zur Unterrichtung daheim konstruiert, die die Kultusminister den Eltern so auch schriftlich zustellten. Bis heute ein juristisches Kunststück und Mysterium. Einige Lehrer wuchsen hier auf eigene Kosten über sich hinaus und stemmten tatsächlich soetwas wie digitalen Unterricht, andere verschwanden komplett in der Versenkung und das Kultusministerium quittierte sich nur achselzuckend.

Die bipolare Störung der Präsenzpflicht

Im nächsten Schritt wurde dann der Digitalunterricht vollständig eingestampft. Dafür mussten die Kinder in die Schule und da man es über Jahre hinweg nicht schaffte oder nicht schaffen wollte, zeitgemäße Belüftungssysteme zu installieren, wurde eben bei Durchzug unterrichtet. Auch an den kältesten Wintertagen. Wer trotzdem krank wurde, musste dann in Isolation und die Kinder die das Pech hatten in der Schule neben dem Kranken gesessen zu haben, wurde gleich mit in Quarantäne geschickt. Und nun? Daheim HomeSchooling? Nun, die Schulen konnten hier wenig bieten. Im besten Fall gab es wieder die schlecht kopierten Arbeitsblätter aus den 1970ern. Nicht digital, sondern wie gewohnt mit ein bis zwei Tagen Verspätung von Freunden mit nach Hause gebracht oder von den Eltern vor Ort abzuholen. „Schule im nächsten Jahrtausend“, dass ich nicht Lache.

Da gaben sich die Kinder die nach Hause geschickt wurden oder zurückkehrten über Monate hinweg die Klinke in die Hand. Kaum eine Klasse war jemals voll besetzt. Vom Unterricht bekamen viele Kinder kaum noch etwas mit. Aber Hauptsache die Schulen sind offen und die Präsenzpflicht wird formal umgesetzt.

Noch eine Stufe abgeschmackter ist die aktuell vorherrschende Situation. Die Kinder müssen eigentlich zwingend in die Schule. Auf eigene Faust daheim bleiben oder gar einen Tag früher in die Ferien wird als schweres Vergehen geächtet, aber dafür fehlt es gleichzeitig an Lehrern. Denn abertausende Stellen werden bewusst nicht besetzt und wenn Lehrer mal krank sind und ausfallen, dann wird eben der Unterricht einfach abgesagt. Präsenzunterrricht? Am Arsch! Die Eltern müssen eben kurzfristig irgendwie die Kinder betreuen und auf eigene Faust mit ihnen die Bildung realisieren. Die immer energisch durchgesetzte Präsenzpflicht scheint plötzlich nur noch ein unverbindlicher Serviervorschlag, bis zu dem Punkt an dem Eltern vorbringen doch lieber das Kind künftig komplett daheim selbst zu unterrichten, wenn die Schule es ja offenbar nicht gebacken kriegt. Dann ist aber der Teufel los und die Polizei kommt um das Kind zwangsweise mitzunehmen, denn es ist ja schließlich Präsenzpflicht und sei es nur, um dann von einer Aushilfe vor Ort die Zeit abzusitzen. „Bildung“ wird in Deutschland schließlich immer noch groß geschrieben. Soviel Rechtschreibung kriegen wir gerade noch hin.

Und nun? Die Pandemie haben wir inzwischen im Griff, die Schulen sind modernisiert und die Gaskrise werden wir auch bewältigen? — NICHT!

Bestens gerüstet für den Winter — NICHT

Natürlich hat die Schule weiterhin nichts dazugelernt, die Kultusminister haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht, die Digitalisierung ist nicht erfolgt, das Abrücken von Präsenzunterricht oder die Legitimation von HomeSchooling ist weiterhin ein Tabu, Lüftungssysteme sind immer noch nicht installiert und tragfähige Konzepte für den nächsten Coronawinter werden weiterhin nicht diskutiert, denn so wie man es schon seit 2020 hört muss man sich ja nicht vorbereite denn: „Bis irgendwelche Maßnahmen greifen ist die Pandemie sowieso vorbei und die Vorgabe ist, dass es beim Präsenzunterricht bleiben wird und deshalb keine sonstigen Vorbereitungen nötig sind.“ Diese Sprüche werden so regelmäßig aus dem Zettelkasten geholt und rezitiert, dass Eltern sie schon so geflissentlich überhören wie „Für Risiken und Nebenwirkungen …“.

Das was nun droht, und da liegt die FDP absolut richtig, ist ein Coronawinter Plus in den Schulen. Alle Kinder müssen vor Ort sein, dort wird weiterhin mit offenen Fenstern unterricht, aber zusätzlich fällt nun auch die Heizung aus, weil kein Gas vorhanden ist. Damit kühlt die Schule insgesamt bald deutlich unter den Gefrierpunkt ab. In einem Notfallplan wird dann vielleicht frostsichere Kreide besorgt und der Tafelschwamm mit Frostschutzmittel getränkt, um den Unterricht aufrecht zu erhalten. Aufs Klo gehen will in vielen Schulen, aufgrund der maroden Sanitärtechnik sowieso schon niemand mehr. Aber Hauptsache „die Bildung“ bleibt aufrecht erhalten.

Die Kinder nun langfristig geplant, gut organisiert, sinnvoll finanziert und rechtlich voll legitimiert, daheim zu unterrichten, mit voller digitaler Unterstützung der Schulen, lieber auf Prüfungen zu verzichten und die Lehre und Bildung wirklich in den Vordergrund zu stellen, die Heizung von Privaträumen in den Fokus zu stellen und hier HomeOffice, HomeSchooling und HomeLiving zu bündeln, wäre zwar logisch sinnvoll, wird aber wohl eine Illusion bleiben. Mancher hat einfach die alten verknöcherten Konzepte zu lieb gewonnen und kann sich schlichtweg nicht vorstellen wie es sonst gehen sollte. Und genau das ist letztlich unser größtest Problem bei allen Krisen. Wir können und wollen uns nicht mehr so richtig anpassen und scheitern quasi an uns selbst, wenn sich in der Umgebung etwas nicht so verhält und entwickelt, wie wir es leichtfertig angenommen haben.