Tempolimit, Teller und Tank


Tempolimit!? Ja, vielleicht nun doch, aber zumindest kein Bio-Sprit mehr.

Die Konferenz der Landesumweltminister ist sich zähneknirschend einig geworden: Das Tempolimit, das ideologisch notorisch abgelehnt wurde, könnte nun doch als eine sinnvolle und notwendige Maßnahme akzeptiert werden, die vielleicht nur begrenzte Wirkung entfaltet, aber gerade wenn man sowieso kaum weiß wie man steigende Preise und Mangelversorgung, aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine in den Griff bekommen soll, muss man eben alles nehmen was überhaupt schnell und einfach irgendwie mithilft. Vielleicht können wir unsere Abhängigkeit von russischer Energie und ukrainischen Lebensmitteln nicht binnen weniger Monate auflösen, aber zumindest sollten wir alles unternehmen, um das Problem abzumildern.

Kurios dabei ist, dass nun auch Bio-Sprit verschwinden wird. Die zäh errungene Beimischung von nachhaltig produzierten Komponenten, etwa im E10, ist angesichts von weltweit drohenden Hungernöten einfach nichtmehr vertretbar und aufgrund der hohen Preise und Knappheit auch rein wirtschaftlich kaum durchzuhalten. Die griffige Parole dazu lautet: Teller statt Tank.

Gerne wirft man den Grünen ideologisch verbohrte Denkweisen vor, doch wie locker leicht sie sich von jeglicher Ideologie lösen, um sich lösungsorientiert mit der Realität zu befassen, wird in den letzten Wochen einmal wieder deutlich. Waffen in ein Kriegsgebiet, weil es ethisch verwerflich wäre, sie zu verweigern. Abschaffung von Biosprit und Akzeptieren von Kohlekraftwerken, um unsere drohende Versorgungslücke wegen Russlandsanktionen zum umschiffen. Bei alle dem springen die Grünen über ihren Schatten und vielleicht wird es auch der FDP noch gelingen beim Thema Tempolimit.

Vielleicht ist es insgesamt nicht die beste Regierung die wir haben könnten, aber ganz sicher ist es auch nicht die schlechteste und in jedem Fall können wir froh sein, dass jetzt nicht Laschet, Söder, Scheuer, Klöckner & Co. versuchen mit Milliardenschweren Beraterverträgen Führungsstärke und Volksverbundenheit zu suggerieren, mit Wirtschaftsnähe und ideologischer Unionspolitik. Leider haben uns 16 Jahre schwarze Regierung überreichlich Probleme eingebrockt, die nun von der Ampel erst mühsam ausgelöffelt werden müssen. Zu allererst ist es eine Russlandpolitik, die sich als großer Fehler herausgestellt hat. Vielleicht kann auch die Union nicht direkt etwas dafür, aber sie hat auch 16 Jahre lang nichts dagegen unternommen, hat uns nicht unabhängig gemacht vom russischen Gas und Öl. Vielleicht hat das was jetzt passiert wirklich keine einzige Partei geahnt, aber dass die Unionspolitiker jetzt so tun, als wären sämtliche Probleme erst in den paar Monaten seit Amtsantritt der neuen Regierung gezeugt worden ist unreflektiert überheblich und geradezu naiv dümmlich.

Wie uns die Welt mit ihrer komplexen Realität immer wieder zu überraschen vermag, mögen die Kinder der 1990er erst noch lernen müssen. 911, Bankenkrise, Klimawandel, Pandemie, Krieg in Europa. So stabil wie man es sich wünschen würde ist die Welt eben nicht. Das was in der Medienlandschaft schon vor 2020 völlig hysterisch als „disruptive Prozesse“ bezeichnet wurde, sind einfach die Veränderungen die nichts unnatürliches haben, sondern die einfach passieren. Allein, dass wir verlernt haben uns darauf einzustellen oder schlichtweg keine Lust mehr darauf haben, lässt uns die Illusion aufrecht erhalten, dass sich Dinge normalerweise nicht ändern würden. Aber die Realität beweist uns immer wieder, dass sie es eben doch tun.

Und gerade als wir zu Begreifen beginnen, dass der Klimawandel auch die Wirtschaft schmerzlich treffen wird und wir auch mit unserem aktuellen Wirtschaftssystem deshalb nicht umhin kommen, uns mit dem Thema zu befassen, schlägt Russland mit seiner Aggresion derart quer, dass die mühsam erarbeiteten Grundfeste in Frage gestellt werden müssen. Das alles muss aber nicht nur schlecht sein. Selbst wenn kurzfristig der Biosprit verschwindet, wir wieder mehr Kohle baggern, mehr Flüssiggas importieren und noch mehr CO2 produzieren, so setzt der erzwungene Bruch doch potenziell auch neue Wege frei. Disruption ist somit im besten Fall nur ein Ausdruck für das zerbrechen verknöcherter Strukturen, die sich nicht mehr dynamisch der Realität anzupassen vermögen und deshalb bersten müssen, um den Raum für ein klein wenig Evolution zu eröffnen.

Damit man das alles auch als Chance nutzen kann, dazu muss man es auch als Chance begreifen können. Die Ampel-Regierung hat hier schon mehr geistige Flexibilität bewiesen, als die Union in den letzten 16 Jahren zustande gebracht hat. Konservativ zu sein, also an Altem starr festzuhalten, es zu verteidigen und zu bewahren, funktioniert eben nicht, wenn Flexibilität durch gewandelte Realität erzwungen wird. Konservative Politik in ihrer Reinstform ist letztlich nichts anderes, als ein Abstreiten von Realität, die nicht so statisch ist, wie man es sich wünschen mag.